„Wer“ oder „Was“ entscheidet, wie ich den Tag erlebe

Zwei Männer sitzen an einem Tisch. Ein Mann schaut verärgert und der andere jammert.

Warum ich keine Sachertorte genießen kann

Mit einem Bekannten sitze ich in einem Café und ich genieße eine leckere Sachertorte. Ich mag, wie die leckere Schokolade in meinem Mund zergeht und dann bemerke ich die leckere Marmelade, die der Schokolade einen fruchtigen Nachgeschmack verleiht.

Auf einmal fängt der Bekannte an, über seine Probleme zu jammern. Seine Stimme klingt leidend und ratlos. Ich bemerke, wie die Stimme nach Zustimmung und Bemitleidung sucht. Gleichzeitig beginnt sich in mir ein Sturm zu entwickeln. Diese Stimme reißt mich aus meinem Genuss der Sachertorte heraus und wandelt meine Umgebung in eine graue und sehr stürmische Umgebung.

In meiner Brust spüre ich, wie sich Ärger entwickelt und anfängt, sich in meinem ganzen Körper auszubreiten. Ich fühle sehr bewusst diese Vibration, die Energie in mir, die schreien und ausbrechen möchte. Doch ich lenke die gesamte Energie in meine Beine, wodurch sie anfangen zu zappeln. Seine Stimme redet weiter. Er bemerkt nicht meinen Ärger und das Zappeln meiner Beine. Die Stimme möchte nur bemitleidet werden. Ich versuche, die Situation unter Kontrolle zu halten, indem ich mir sage, lass dich davon nicht beeinflussen. Doch diese Stimme mit dieser melancholischen Schwingung reißt mich mit.

Meine Beine fangen an, immer mehr zu zappeln. Der Ärger ist so stark in mir, ich konnte diese wunderbare Torte nicht genießen und kann auch nicht verstehen, warum mein Bekannter so bemitleidet werden möchte. Ich kann mich nicht zurückhalten, denn die durch den Ärger verursachte Energie in mir ist so stark, dass ich meinen Bekannten anbrülle. Er schaut mich entsetzt an, wirft mir vor, dass ich kein verständnisvoller Mensch bin, steht auf und geht.

Wer entscheidet, dass ich eine Sachertorte genießen darf

Wir leben mit der Einstellung, dass wir Gefühle unterdrücken müssen. Denn ich habe im Leben gelernt, dass ich nicht wütend sein darf. Weinen darf ich auch nicht, weil das etwas ist, was Männer nicht tun. Weinen wird als ein Zeichen von Schwäche angesehen. Das wurde mir immer wieder gesagt.

Ich habe nicht gelernt, wie ich als Mensch mit einer Einschränkung richtig mit meinen Gefühlen umgehen soll. Also habe ich versucht, Gefühle zu unterdrücken. Doch das Unterdrücken meiner Gefühle kostete mich viel Energie. Ich wurde danach immer sehr müde.

In diesem Artikel möchte ich meine Erkenntnisse über Emotionsregulation teilen, die mir sehr helfen, als Blinder besser mit Vorwürfen und Ärger umzugehen.

Was muss ich tun, um die Emotionen in mir richtig zu regulieren?

Zuerst möchte ich mit dir eine wichtige Sache klären, die mir sehr am Herzen liegt. Kein Wissen der Welt hilft dabei, Emotionen zu regulieren. Für mich sind Emotionen bewegte Energie, sei diese Bewegung nun positiv oder negativ. Genau wie ich diese Bewegung mit meiner Bekannten beim Essen einer Sachertorte gespürt hatte.

Das bedeutet, wenn wir mit diesen Bewegungen in uns umgehen möchten, müssen wir Energie aufbringen, um mit diesen Bewegungen in uns richtig umgehen zu können. Das bedeutet, ich muss immer wieder üben, um diese Bewegungen rechtzeitig zu erkennen und die notwendigen Maßnahmen einleiten zu können.

Lange Zeit dachte ich, ich müsste die Bewegung in mir unterdrücken oder versuchen, sie zu ersticken. Mit diesem Vorhaben war ich nicht erfolgreich. Wenn ich versuchte, eine Bewegung in mir zu unterdrücken, dann wurde diese Bewegung immer stärker, so stark, dass meine Handlungen unkontrolliert wurden. Ich sagte etwas oder führte eine Handlung aus, die ich kurz darauf bereute.

Ich erkannte, dass ich üben muss, mit diesen Bewegungen richtig umzugehen. Ich muss zuerst üben, diese Bewegungen gleich bewusst wahrzunehmen. Durch das bewusste Wahrnehmen dieser Bewegungen in mir, verstehe ich, dass diese Bewegungen ein Teil von mir sind. Dadurch wird es für mich möglich, mit dieser Bewegung besser umzugehen.

„Wie“ gehe ich also mit dieser Bewegung richtig um? Dazu muss ich zuerst verstehen, wie diese Bewegungen entstehen.

Die Erfahrungen entscheiden welche Bewegungen in mir ausgelöst werden

Als Blinder dachte ich, dass Mimik oder Körpersprache einen großen Einfluss darauf haben, wie eine Bewegung in mir ausgelöst wird. Also glaubte ich, dass mich niemand ärgern kann, weil ich die Mimik oder Körpersprache einer Person nicht sehen kann.

Die Menschen um mich herum waren trotzdem in der Lage, mich zu ärgern. Warum war das so? Warum war ein Mensch in der Lage, mich zu ärgern, obwohl ich diesen Menschen nicht sehen konnte? Die Antwort lag in der Stimme der Person. Je nachdem, welche Stimmung durch die Stimme übermittelt wurde, löste diese Bewegung in der Stimme eine Bewegung in mir aus. Dabei war diese Bewegung in der Stimme, die durch den Menschen verursacht wurde, nicht die Ursache für die Bewegung in mir. Die Bewegung in mir wurde durch meine Art, wie ich diese Bewegung in der Stimme dieses Menschen empfing und interpretierte, ausgelöst.

Das Problem, wie ich die Bewegung in mir auslöse, hängt also davon ab, wie ich diese Bewegung von dem Menschen wahrnehme. Jetzt sind wir zum zentralen Punkt angelangt. Was beeinflusst meine Art der Wahrnehmung? Dazu möchte ich zum Buch von Lisa Feldman Barrett Bezug nehmen. Ich bin von ihren wissenschaftlichen Ergebnissen in ihrem Buch „Wie Gefühle entstehen“ sehr beeindruckt.

Nach ihrem Buch folgen die Bewegungen in uns keinem festen Muster. Nehmen wir zum Beispiel die Bewegung Ärger. So wie Sie diese Bewegung von Ärger aussenden, wird kein anderer Mensch diesen Ärger genau gleich aussenden können. Es ist so, als wäre Ihr Ärger Ihre einzigartige Bewegung. Wird Ihnen eine Sachertorte serviert, dann werden Sie diese Sachertorte ganz anders wahrnehmen als ich. Obwohl wir die gleiche Sachertorte essen, werde ich mich an den melancholischen Bekannten erinnern und Sie an Ihre Erfahrungen, die Sie mit einer Sachertorte gemacht haben. Diese Erfahrungen werden dazu führen, dass wir die Sachertorte ganz unterschiedlich wahrnehmen.

Außer Sie haben eine ähnliche Erfahrung beim Essen einer Sachertorte mit einem melancholischen Bekannten gemacht, dann werden wir vielleicht ähnliche Empfindungen haben. Hieraus resultiert folgendes nach Lisa Feldman Barrett: Nicht die aktuelle Situation entscheidet über unsere Reaktion auf eine Situation, sondern unsere Erfahrungen in der Vergangenheit entscheiden über unsere Reaktionen.

Diese Erkenntnis hat bei mir dazu geführt, dass ich nun gezielt nach Erfahrungen suche, die dazu führen, dass ich mich sehr stark ärgere. Dadurch versuche ich nicht mehr, die Situation zu ändern, sondern die Erfahrungen, die mich wütend machen. Wozu mache ich das? Ich habe festgestellt, dass, wenn ich mich weniger ärgere, ich für andere, wichtigere Situationen mehr emotionale Energie habe. Dadurch kann ich mit diesen Situationen viel besser umgehen und komme so in meinem Leben besser voran.

Warum war nun mein Bekannter in der Lage, mich zu ärgern, obwohl ich eine leckere Sachertorte vor mir hatte? Als Kind hatte ich die Erfahrung gemacht, dass Jammern nichts Gutes ist. Jammern tun nur schwache Menschen. Jammern ist ein Zeichen von Schwäche, und ich darf als Junge keine Schwäche zeigen. Als ich diese Erfahrungen in mir entdeckt hatte, konnte ich damit beginnen, diese zu verändern.

Heute ist für mich Jammern eine Reaktion, in der ein Mensch verzweifelt ist und Hilfe sucht. Diesen Gedanken mache ich mir immer wieder bewusst. Ich stelle mir vor, wie ich jammere und dass dies kein Zeichen von Schwäche ist. Wenn ich jammern möchte, dann weiß ich, dass ich verzweifelt bin und nicht weiß, wie ich mit dieser Situation umgehen soll. Ich suche nach Hilfe, nach Unterstützung. Langes Training hat dazu geführt, dass jammernde Menschen mich nicht mehr ärgern können. Ich höre nun gespannt zu, um zu erkennen, wo ich unterstützen kann.

Letztens hatte ich mich wieder mit meinem Bekannten getroffen. Ich war der Meinung, dass ich meine Erfahrung mit Jammern verändert habe und nun nicht mehr ärgerlich werde, wenn mein Bekannter anfängt zu jammern.

Ich war sehr erstaunt, als mein Bekannter überhaupt nicht jammerte. Er war sehr positiv eingestellt. Seine Worte erzeugten sehr viel Freude in mir. Er hat erkannt, dass er vieles in seinem Leben ändern muss und mit Jammern nicht viel erreichen kann. Sogar die Sachertorte schmeckte mir viel besser, obwohl wir im gleichen Café wie beim letzten Mal waren.

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